Schachturniere im Impfstoffinstitut

Ich war Vorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft am Institut für Impfstoffe in Dessau. Mein Chef hat mich mehr oder weniger dazu aufgefordert. Da ich relativ gut Russisch konnte, war das auch naheliegend. Für die Brigade war es ein Pluspunkt, wenn man Kontakt zu sowjetischen Freunden hatte. Also ist der Kontakt von mir aus aufgenommen worden. Das sowjetische Hospital lag ja direkt unserem Institut gegenüber. Zuerst habe ich mit dem Stellvertreter des politischen Kommandanten der Sowjetarmee in Dessau gesprochen. Wenn ich am Eingang zum Lazarett gesagt habe, ich will zum Politoffizier, dann haben die mich zu ihm gebracht.

Und dann habe ich Schachturniere organisiert. Alle Turniere fanden bei uns im Institut statt. Meistens kamen Offiziere; das waren vor allem Ärzte oder Apotheker und die wurden alle zwei Jahre ausgewechselt. Dann mussten sie wieder nach Hause fahren, weil man wahrscheinlich befürchtete, dass da Freundschaften entstehen. Und das wollen die nicht. Also der Kommandant und der politische Stellvertreter, die blieben. Aber der Apotheker und der Chirurg und so weiter, die wurden alle zwei Jahre ausgewechselt.

Manchmal haben wir ihnen aus unserem Bestand irgendwelche Glasgeräte gegeben, die sie nicht hatten. Das war alles unter der Hand.

Private Einladungen

Außerhalb der Schachturniere haben wir auch einige Russen zu uns nach Hause in die Wohnung eingeladen. Aber das war inoffiziell, das durfte nicht bekannt werden. Ich war oft in dem Lazarett, habe dort mit den Ärzten und dem Apotheker gesprochen und konnte sie bei der Gelegenheit einladen. Die Offiziere durften sich frei bewegen. Aber es war nicht gern gesehen, dass sie private Kontakte hatten. Das sowjetische System war bei den Ärzten nicht beliebt. Die haben das sowjetische System nicht akzeptiert. Der Kontakt wurde von uns aus gepflegt. Die privaten Kontakte waren sozusagen geheim. Deshalb haben wir es so gemacht, dass es nicht bekannt wurde. Von deutscher Seite aus gab es keine Sanktionen. Aber wenn das bekannt geworden wäre, hätten die russischen Ärzte und Apotheker Schwierigkeiten gekriegt.

Wenn sie zurück in die Sowjetunion mussten, haben sie gesagt: „Schreibt nicht an uns, schreibt an unsere Kinder.“ Es war nicht erlaubt oder nicht erwünscht, dass man mit denen Korrespondenz hatte. Aber über die Kinder war es vielleicht noch möglich. Die Briefe sollten an die Kinder adressiert werden, damit sie die Eltern über diesen Umweg erreichten. Dann war der Kontakt meistens schnell zu Ende. Wahrscheinlich war es für sie zu gefährlich.

Wir waren interessiert, Leute aus anderen Ländern kennenzulernen. Bei einer Nachbarin wohnte ein Untermieter, ein Araber. Den haben wir auch mal zu uns eingeladen. Und dann hatten wir auch Kontakt zu einem Äthiopier. Den habe ich in einer Gaststätte kennengelernt. Der sollte das Eisenbahnwesen in seinem Land übernehmen.

Dienstreise nach Moskau

In den frühen 70er Jahren hatte ich eine offizielle Dienstreise zu sowjetischen Impfstoffherstellern. Ich war ungefähr 14 Tage dort. Das Werk befand sich außerhalb Moskaus. Ich habe in Moskau im Hotel gewohnt. Wir fuhren mit der Metro bis zur Endstation, und von dort fuhr ein Bus bis zu dem Impfstoffwerk. Es gab viele russische oder sowjetische Mitarbeiter, die in Moskau wohnten und auch mit dem Bus fuhren. Wenn der Bus im Werk angekommen war, haben sie gesagt: „Viele, vielen Dank, Andrejewitsch!“ – sie haben sich extra bei dem Busfahrer bedankt.

Die Leiterin der Impfstoffproduktion, die mich dort betreute, hat sich sehr um mich bemüht und hat mich mittags immer zum Essen eingeladen. Ich hatte ihr als Gastgeschenk vom Betrieb aus ein ziemlich großes Barometer und Thermometer, also eine Wetterstation, mitgebracht. Das habe ich ihr dann übergeben. Da hat sie sich sehr gefreut.

Witzig ist, dass mich auf dem Flughafen jemand abholen und ins Hotel bringen sollte. Irgendwie haben wir uns gefunden und er hat mich ins Hotel gebracht. Und dann wollte er nicht mehr gehen. Ich habe mich gewundert und immer weiter mit ihm gesprochen. Ich konnte ja nicht einfach sagen: „So, jetzt Schluss!“ Das ging solange, bis das Gespräch auf Kugelschreiber kam. Ich hatte auch ein paar Kugelschreiber dabei. Die habe ich ihm gegeben und da war er zufrieden.

Eine sowjetische Behörde in der DDR

Außerdem hatten wir Beziehungen zu KETsch, das heißt Kwartirno-Expluatazionnaja Tschast’. Das ist also auf Deutsch gesagt der Quartiermacher, die sollten Wohnungen organisieren. Die waren zuständig für die sowjetischen Freunde. Das hatte mit dem Hospital nichts zu tun, auch nichts mit dem sowjetischen Kommandanten – das war extra. An einem besonderen sowjetischen Feiertag haben wir dann immer – und nicht nur wir, sondern alle Betriebe – riesige Geschenke gemacht. Die Polizei hat Fernseher geschenkt. Wir hatten dadurch weniger. Und das war KETsch.

Den Vertreter von KETsch, den haben wir auch ein- oder zweimal nach Hause eingeladen. Dessen Ehefrau war mit und die hatten nur ein Zimmer. Das Haus, wo sie wohnten, war in der Nähe.

Eine Feier mit Festnahme

Wenn wir im Institut eine Feier hatten, haben wir auch Russen eingeladen. Wir hatten ja auch Kontakt zu Russen in der Nähe von Roßlau. Die haben wir eingeladen und der Chauffeur, der durfte nicht mit hinein. Einige von uns haben gesagt: „Zu trinken kriegt er nichts, aber zu essen können wir ihm doch geben!” „Nix“, sagte sein Chef, „der hat seinen Proviant.” Dann kam von der Kommandantur eine Streife. Der Chauffeur hatte bis 22:00 Uhr eine Erlaubnis. Und obwohl er natürlich auf seinen Chef warten musste, haben sie den einfach festgenommen. Da musste der sowjetische Offizier ein neues Auto anfordern, damit er wieder zurückkam. Wir hatten einen, der hatte in der Sowjetunion studiert und sprach fließend Russisch. Er hat mit dem Kommandanten gesprochen, aber der ließ sich nicht erweichen: „Nix. Der bleibt festgesetzt.“

Bei den Feiern – das war noch vor Gorbatschow, da war das Alkoholtrinken noch erlaubt – herrschte auch für den Gast sozusagen Trinkzwang. Es war Sommer und es war warm. Und da kannste ja nicht so viel Alkohol vertragen. Da habe ich mich dann heimlich abgesetzt. Sonst hätte ich noch weiter trinken müssen und hätte vielleicht flach gelegen.

Die Sowjetunion stand offiziell oben. Aber privat haben wir das System nicht akzeptiert. Wie gesagt, die privaten Kontakte waren unerwünscht. Und jetzt machen Sie Krieg.

Interview: Uta Kielstein und Uta Gerlant

Das Interview mit Uta Kielstein findet sich hier.

Unerwünschte Wege 2023