Ich habe mein Studium an der Baumanka abgeschlossen und abends als Autoreparateur gearbeitet. Eines Tages reparierte ich ein Auto für einen Militärkommissar und er fragte mich: “Welche Ausbildung hast du, Baumansky? Und was machst du hier?” Ich sagte: “Ich verdiene Geld, um meine Familie zu ernähren.“ Er sagte: “Du willst zur Armee?” Ich sagte: “Nur zur guten Armee, ins Ausland.” Das war im Oktober 1981, und ich dachte, ich würde nie in meinem Leben ins Ausland kommen. Wir unterhielten uns, gingen auseinander, und am nächsten Morgen rief er mich an und lud mich ein, die ärztliche Untersuchung zu absolvieren. 

Um nach Deutschland zu kommen, musste man eine Erklärung abgeben, in der man sich bereit erklärte, überall in der Sowjetunion so lange zu dienen, wie es das Vaterland verlangte. Und wenn man die ärztliche Untersuchung nicht bestanden hatte, musste man trotzdem in der Armee dienen, aber innerhalb des Landes. Es war beängstigend, einen Sprung für 25 Jahre zu machen. Vor mir sagte ein Mann, er wolle nach Deutschland gehen. Und sie sagten zu ihm: “Willst du nun zur Armee oder nach Deutschland?” Und sie schickten ihn los, um irgendwo anders als in Deutschland zu dienen. Mich haben sie auch gefragt, wo ich hin will, und ich habe gesagt: “Die Partei sagt: man muss! Komsomol antwortet: zu Befehl!“ Ich wurde genommen. Am fünften Januar 1982 kamen wir in Sperenberg an, in der GSSD. 

Zuerst wurde ich nach Quedlinburg verlegt, wo die Militäreinheit 200×200 Meter im offenen Feld lag. Dann wurde ich nach Wünsdorf verlegt, von wo aus man mit dem Bus in die Stadt fahren konnte. Auch gab es dort ein Restaurant und die Arbeit war interessant – als Hauptmann baute ich einen Gefechtsstand. Es gab fünf Armeen in Wünsdorf, eine riesige Anzahl an Ressourcen für Auskundschaftung und Ortung, und wir haben all das angeleitet. Und da war ich als junger, rotznasiger Junge, der an fast alle Marschälle der Sowjetunion berichtete. 

Ehemalige sowjetische Militärstadt Wünsdorf im Herbst 2022. Foto: Elena Kashirskaya

Die nostalgischen Momente sind für mich realer als das heutige Leben. Ich habe sechs Jahre in Wünsdorf gedient und liebe Deutschland, weil die Dienstzeit interessant und ereignisreich war. Im Kontrast zur Sowjetunion blieb bei mir der Eindruck, dass Deutschland das beste Land der Welt ist. Obwohl ich viel in der Welt herumgekommen bin. 

Als ich 1987 abreiste, war mir klar, dass ich nie wieder zurückkehren würde, aber ich wollte es unbedingt. Wegen der Lebensweise der Deutschen – die Kultur, die Ruhe, die Medizin, überall Ordnung. In der DDR gab es noch mehr Ordnung als heute. Ja, die Kleidung war bescheiden, die Autos einfach, aber die Lebensweise, die sozialen Faktoren und die Garantien… Mein Hund wurde von einem Auto überfahren, ein silberner Pudel mit einem verrückten Stammbaum, der mich anderthalb Gehälter gekostet hatte. Die halbe Abteilung hat aufgehört mit mir zu reden – wie konnte man so viel Geld für einen Hund ausgeben? Und die Deutschen haben ihn behandelt. Ich kam in die Poliklinik – Röntgen, Untersuchung von Urin und Kot. Wo bin ich hier gelandet? Sofort wurde alles gemacht. Bei uns werden nicht mal Menschen so behandelt.

Kommunikation mit Deutschen

Es war uns verboten, mit den Deutschen zu sprechen – wir mussten uns jedes Mal bei den Sonderoffizieren melden. Aber wir durften das Städtchen verlassen, also gingen wir an den Strand und tranken in den Gaststätten. In den Gaststätten gab es Eisbein, kalten Wodka und köstliche Soljanka. Die Beziehungen zu den Einheimischen waren normal, menschlich. Als zum Beispiel in der Sowjetunion die Prohibition eingeführt wurde, es durfte nicht einmal mehr Bier getrunken werden. Am Eingang der Militärstadt wurden die Taschen durchsucht, damit kein Alkohol reingebracht werden konnte. Die Patrouille lauerte am Ausgang des Gasthauses, und der Gastwirt öffnete die Hintertür, damit wir uns aus dem Staub machen konnten. Aber es gab auch Ärger, man konnte in der Kommandantur landen, und dann auf der Parteiversammlung. Aber wir waren jung, das war uns egal. Die Gastwirte sagten, sie würden Gorbatschow ein Denkmal aus Gold bauen – ihre Einnahmen gingen durch die Decke. Auf einmal kamen alle zu ihnen, das Bier floss.  

Eheschließungen mit Deutschen begannen erst nach dem Fall der Mauer, als die Grenze zu West-Berlin geöffnet wurde. Davor haben die Spezialeinheiten einen dafür zurück in die Sowjetunion geschickt. Samstags wurden die Befehle verlesen, und fast alle beinhalteten Vergewaltigungen. Ein Stabsfeldwebel war mit seiner Familie bei einem Grillfest und vergewaltigte dort eine deutsche Frau. Das Opfer erstatteten Anzeige bei der Polizei, die Polizei wandte sich an die GSSD-Führung. Einmal gab es den folgenden Fall: Zwei Soldaten hatten mit einer deutschen Frau Sex nach Absprache; sie sollte dafür eine Kamera bekommen. Als es vorbei war, gaben sie ihr statt der Kamera nur die Kamerahülle. Sie kamen zurück in die Sowjetunion, der eine erhielt acht Jahre Haft, der andere zehn. Manchmal gingen diese Fälle sogar auf die Ebene von Breschnew. 1981 kamen in Plauen vier Männer aus einer Gaststätte, sahen durch ein Fenster eine deutsche Frau, die sich umzog, rannten hinein, einer hielt sie fest, drei vergewaltigten sie. Einer bekam acht Jahre Haft, einer zehn, der dritte zwölf. Derjenige, der die Frau festgehalten hatte, bekam acht Jahre, er war Komsomolleiter der Kompanie. Von Plauen aus schwärmten die Deutschen in die Garnison, Honecker rief Breschnew persönlich an. Solcher Art waren die Kontakte, was soll man sagen. 

Was wäre ein Russe ohne Geschäft?

In Berlin herrschte kein Mangel. Starker Materialismus lag in der Luft. Deshalb war es uns absolut untersagt, Berlin zu besuchen. An allen Bahnhöfen standen bei der Einfahrt in die Stadt Soldaten der Sonderabteilung der Berliner Brigade und zogen russische Frauen aus der Menschenmenge heraus. Es war leicht, sie zu identifizieren – sie waren aufgetakelt, setzten diese Pelzmützen auf… Und wenn sie zum zweiten Mal erwischt wurden, gab es einen Befehl, und die gesamte Familie wurde innerhalb von 24 Stunden in die Sowjetunion zurückgeschickt. Die Kaufsucht hat viele befallen. Ich erinnere mich genau daran, dass die Kinder von Offizieren vor Hunger in Ohnmacht fielen, weil ihre Eltern Geld für Anschaffungen sparten! Es gab ein zweites Gehalt – Marken, um jeden möglichen Unsinn zu kaufen. Sie lebten unter schrecklichen Bedingungen, viele von ihnen hatten nur ein Soldatenbett, einen Nachttisch, einen kaputten Fernseher und das war’s. Aber für Zuhause kauften sie irgendwelche “Madonna”-Geschirrservices, irgendwelche Teppiche, weiche Möbel, “Divandeks” – dünne Decken für ein Sofa; die Armee war verrückt danach. 

Manche Soldaten entfernten sich unerlaubt von der Truppe und stellten verschiedene Sachen an. In den Dörfern legten die Deutschen in den Hausaufgängen Milch und Brötchen aus – und tun das auch heute noch. Warum also nicht loslaufen, um frische Milch und Brötchen zu holen. Oder das 69. Regiment in Wünsdorf kommt von einer militärischen Übung zurück, ein Stabsfeldwebel führt den Lastwagen, hinten sitzen die Soldaten. Der Feldwebel hält auf einem Fahrradparkplatz in Zossen an. Er sagt: “Halt!” Sechs Soldaten springen hinten heraus und schnappen sich den Fahrradständer mit zehn Fahrrädern, packen ihn hinten rein und fahren weiter. 

Und manchmal rannten die Soldaten zur Müllkippe mit dem Müll aus West-Berlin, ungefähr 10 Kilometer von Wünsdorf entfernt. Wenn die Polizei sie erwischt hätte, wären sie in den Knast gekommen. Und da gab es den Otto-Katalog, manchmal Erotikzeitschriften, Technik! Sie reparierten kaputte Technik und brachten sie in die Sowjetunion, wo sie diese dann verkauften. Es durfte kein Bargeld aus dem Land ausgeführt werden, alle versuchten, Geschäfte zu machen. Was ist ein Russe ohne Geschäfte zu machen! 

Iosif Kobson kam jedes Jahr, um im Offiziershaus in Wünsdorf aufzutreten. Die Leute wurden dorthin gezwungen, niemand wollte hingehen. Der Leiter der Handelsverwaltung der GSSD und ich waren gute Bekannte, und als ich zu ihm nach Leipzig kam, um einen Pelzmantel für meine Frau zu kaufen, saß Kobson auch da. Und dann machte dieser Leiter den Lagerraum auf, und der war komplett voll mit Kaminen. Es stellte sich heraus, dass Kobson alle Abteile des Zuges mit Kaminen vollgestopft hatte, die in Deutschland schwer zu bekommen waren. Ein Kamin kostete 200 Rubel, aber er verkaufte ihn für 500 Mark. Von den 500 Mark kaufte er dann eine Strickmaschine, die in der UdSSR 1.500 Rubel kostete. Er hat alles für einen höheren Preis verkauft als es kostete. 

Krieg

Am 22. Februar 2021 brachte meine Frau die Enkelkinder von Moskau nach Berlin. Am 24. Februar, als der Krieg begann, rief mich meine Tochter an: “Sollst Morgen in Berlin sein!“ Und ich sagte: “Ich bin nicht bereit.” Aber ich ließ mein Auto am Flughafen stehen, sie besorgte mir das letzte Ticket für den letzten Flug für 700 Euro und ich flog hin. 

Ich habe einen Geschäftskollegen, der aus Kiew kommt und in Charkiw ein Business hat. Wir telefonierten und er sagte: “Russland war, ist und wird immer sein.” Ich sagte: “Welches Russland?!” Wir gerieten in einen Streit. Ich sagte: “Vitalik, geh vom Podium runter, sonst fällst du!” Aber er ließ sich zu der Frage hinreißen, ob ich denn kein Patriot sei.

Als ich in Deutschland diente, hatte ich sieben Leutnants – Absolventen der Kiewer Ingenieur-Radiotechnischen Militärschule, einer mächtigen intellektuellen Einrichtung. Und jetzt sind sie dort praktisch alle Oberst und kämpfen. Und ich bin mit ihnen befreundet, stehe mit ihnen im Kontakt, jeden Morgen rufen sie mich an und erzählen mir, was passiert ist.

Interview: Natalia Konradova

Unerwünschte Wege 2023